Zusammenfassung der AAD in Düsseldorf vom 14. – 18. März 2017

…..Es kommen ganz andere Realitäten auf die Augenheilkunde zu – und zwar sehr bald!
Von Dr. Vera Schmit-Eilenberger

Unter dem Motto “Demographischer Wandel – Herausforderungen und Perspektiven für die Augenheilkunde” wurde vom 14. März bis 18. März 2017 in Düsseldorf die Augenärztliche Akademie Deutschlands in bewährter Weise ausgetragen. Über 5 Tage wurden mehrere hundert Kurse, Symposien, Dry-und Wetlabs, Vorlesungen, Facharzttutorien angeboten und rege angenommen.
Rund 200 Firmen präsentierten sich auf der Industrieausstellung, wobei der gefühlte Schwerpunkt die “Imaging”-Anbieter waren. Insbesondere die OCT-A verschiedener Anbieter stieß als neues, wegweisendes Tool auf besonderes Interesse.

Mit fast 6000 Teilnehmern gehört die AAD, die vom BVA und der DOG gemeinsam ausgerichtet wird, zu den großen, ophthalmologischen Veranstaltungen neben der DOC im Mai in Nürnberg und der DOG Herbst in Berlin im deutschsprachigen Raum. Ihre Strukturen mit eingespielten Schulungs- und Seminarangeboten einen wertvollen Beitrag zur klinischen und theoretischen Ausbildung und Wissensvertiefung für Assistenz- und Fachärzte ermöglichen.

“Demographischer Wandel – Herausforderungen und Perspektiven für die Augenheilkunde”

Durch den Demographischen Wandel ergeben sich zweifellos Herausforderungen und neue Perspektiven für die Augenheilkunde. Rund 40 Prozent der Patienten sind heute schon 70 Jahre alt oder älter. Diese Menschen sind besonders häufig von chronischen Augenerkrankungen betroffen, die eine kontinuierliche und aufwändige Betreuung erfordern. 2030 wird der Anteil der 60- bis 80-Jährigen bei 28 Prozent der Bevölkerung liegen, sieben Prozent der Menschen werden über 80 Jahre alt sein. Für die Augenheilkunde bedeutet dies: Es ist mit 7,7 Millionen zusätzlicher Behandlungsfällen zu rechnen. Diese Zahlen sind nicht neu und überraschen nicht wirklich. Sich darauf einzustellen, stellt eher ein berechenbar strukturelles und finanzielles, denn ein medizinisches Problem dar.

Andere, fast revolutionäre anstehende Strukturveränderungen haben leider im Rahmen dieser Akademie keine oder nicht genug Beachtung gefunden: Die Augenheilkunde wird sich zeitnah, momentan noch schwer absehbaren, aber massiven strukturellen Umwandlungen stellen müssen: Imaging, Imaging, Imaging lautet die Zukunft. Denn die zunehmende Vernetzung bringt es jetzt schon mit sich, dass Spezialisten und Patienten nicht mehr körperlich aufeinandertreffen müssen. So wie man nicht mehr um 20h abends im Fernsehsessel sitzen muss, um die Tagesschau zu sehen, erleben wir täglich mehr, wie die Augenheilkunde ortsunabhängig und zeitsouverän wird. Und dieser Trend wird sich verstärken und beschleunigen.

Imaging wird mit sich bringen, dass Patienten von Anfahrt und Wartezeiten in Zentren befreit werden. Ein neues Arzt-Patienten-Verhältnis auf verschiedenen Ebenen – auch emotional und vom Vertrauensverhältnis her – wird die Folge sein.

Autonomes Diagnostizieren, Therapieren und Operieren durch neuronale Netzwerke, die zwar (noch) keine technologische Singularität aufweisen, aber die wie z.B. Watson von IBM, der mit Millionen von Daten gefüttert wird, diese in Sekundenschnelle abgleicht und Analysen mittels Algorithmen anfertigt, das menschliches Gehirn, den Arzt, Experte hin- oder her, links liegen lassen.

Watson kann 40 Millionen Dokumente in 15 Sekunden lesen, d.h. die komplette jährliche Literatur in der Augenheilkunde wird in weniger als einer Sekunde erfasst. Das war´s Mr Holmes.

Noch wird zart darauf hingewiesen, dass dadurch der Arzt nicht ersetzt werden kann, es sich hingegen lediglich um ein Assistenzprogramm handelt. Aber wenn dieses Netzwerk evidenzbasiert argumentieren wird, wo bleibt dann die Autonomie der ärztlichen Entscheidung? Halten Kostenträger noch in Zukunft ihre Finger bei der ärztlichen Therapiewahl unter Zugriff auf diese Daten raus? Wird es noch ärztliche Einzelentscheidungen geben oder ein System der evidenzbasierten Priorisierung eingeführt? Oder was kommt noch?

Macht es überhaupt noch Sinn, Kurse für z.B. OCT Anwendung und Auswertung anzubieten oder wahrzunehmen? Die Frage stellt sich wirklich.

Imaging wird bald nicht mehr individuell ausgewertet werden können. Das werden entweder automatisierte Reading Center im Rahmen einer flächendeckenden Vernetzung oder Computerprogramme wie Watson, die die Diagnose in Sekundenschnelle in jede Sprache dieser Welt übersetzen können, übernehmen. Die Flut an Innovationen ist für den einzelnen Augenarzt weder noch adäquat erlernbar, noch deren Interpretation für das breite Spektrum der Fälle auf einem professionellen Niveau leistbar. Und nicht nur das “structural imaging” entwickelt sich exponentiell fort, Möglichkeiten im “functional bio imaging” werden schnell weitere Erkenntnisse bringen.

Noch ein weiteres, wenig besprochenes Problem: Imaging reitet in der Augenheilkunde den therapeutischen Möglichkeiten, insbesondere beim Glaukom und der AMD davon.

Die vermeintliche Logik der Quantifizierung und Darstellung von Daten, z.B. beim Glaukom, gaukelt uns Innovation vor. Teilweise wird dieser Messwahn auf ein absurdes Differenzierungsniveau getrieben, der alle Beteiligten in einer postmodernen Pseudosicherheit wiegt, ohne wirklichen Wert. BIG DATA – BIG OUTPUT? Wie sollte das möglich sein bei einem Innovationsstau par excellence, was die therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung des Glaukoms ausmachen? Drucksenkung seit dem 19. Jahrhundert? Mit Augentropfen, die nach 6 Monaten nur noch 50% der Patienten überhaupt nehmen? Wobei allen klar ist, dass damit nur ein kleiner Aspekt der Pathogenese dieses schlecht sortierten Krankheitsbildes adressiert wird.

Kostenexplosion beim Imaging ohne wirkliche therapeutische Innovation. Der individuelle Nutzen dafür wird bald nachzuweisen und argumentativ gegenüber Kostenträgern und Igel-Leistern zu rechtfertigen sein!

Ebenso, wie uns absehbar die Folgen des demographischen Wandels beschäftigen werden, wird uns eine Diabetes-Epidemie heimsuchen, zudem wird sich die Augenheilkunde der Pandemie der Myopie und ihrer Folgen stellen müssen.

Was ist mit Themen wie Gender Medizin? Der Beginn des Endes der genetisch bedingten Netzhauterkrankungen durch „gene editing technology“? Die riesengroßen Schritte in der “Artificial View” mit hochauflösenden kortikalen Implantaten? Das Ende der Presbyopie für die Silver-Surfer? Spinnereien in der Pipeline wie individualisierte Therapie mit Medikamenten aus dem 3D-Molekulardrucker? Cat-Op ohne OP?

Wo sind die intelligenten Impulsvorträge: frech, mutig und unabhängig formuliert? Wo die Paradiesvögel, Informatiker, Biotechniker, Philosophen, Bioniker, Ethiker, Zukunftsforscher aus Think-tanks, Vor- und Querdenker? Es gibt sie.

Zweifellos ist eine saubere und gut sortierte Grundlagenvermittlung zur Qualitätssicherung unabdingbar.

Aber: Wo ist das Forum für die großen und kleinen drängenden Zukunfts-Themen in der Ophthalmologie auf der AAD?

Als Schulungsveranstaltung wirkt die AAD allzu brav, beamtisch, altmodisch und im besten Falle konservierend.

Schaut Euch um. Traut Euch!